Re-imagining America
20.-22.11.2020
"It doesn’t matter how far you go, it doesn’t matter how long you stay"
Michelle Alperin
Online video screening
https://vimeo.com/478061525
Fr./Fri., 20.11., 00:01 - So./Sun., 22.11., 23:59
Photo: Still from “The Sea of Infinite Possibilities”, 2020 by Michelle Alperin and Joe Neave
Das Videoprogramm beinhaltet vier Filme - zwei in Los Angeles und zwei in Berlin produzierte Filme - inklusive einer Vorschau auf eine neue Zusammenarbeit mit Joe Neave.
PROGRAMM:
1. Untitled (For T.B.R), 1996
2. Sub Rosa, 2001
3. Revenant, 2013
4. Preview of a new collaboration with Joe Neave, The Sea of Infinite Possibilities, 2020
The video program includes four films - two produced in Los Angeles and two in Berlin - including a preview of a new collaboration with Joe Neave.
PROGRAM:
1. Untitled (For T.B.R), 1996
2. Sub Rosa, 2001
3. Revenant, 2013
4. Preview of a new collaboration with Joe Neave, The Sea of Infinite Possibilities, 2020
Video stills from Untitled (For T.B.R.), Super 8 finished on video, with sound and color, 7:30 min, 1986
Text von Michelle Alperin aus der Publikation zu "Re-imagining America"
Ich habe meine Werke stets als individuelle Einheiten betrachtet und mich bemüht, die Struktur und die Methoden einer jeden Arbeit auf ihre spezifische Thematik zuzuschneiden. Dennoch kehren einige Themen und formale Ansätze in meiner Praxis immer wieder. Obwohl es nie eine absichtliche Strategie war, habe ich in den meisten meiner Werke einen epistemologischen Charakter erkannt. Die Videos zeigen oft Figuren, die versuchen, die Natur ungewöhnlicher Phänomene oder das Verhalten sowie die Absichten anderer zu verstehen und zu interpretieren. Die Videos porträtieren auch die Folgen, wenn diese Einsicht fehlt. Die Figuren können überrascht sein, wenn andere Menschen Ereignisse oder Zeichen anders als sie interpretieren – oder ihnen überhaupt keine Bedeutung beimessen. Es kann zu einem epistemologischen Machtkampf kommen, in dem eine Figur eine andere davon überzeugen will, die Verhältnisse nicht richtig verstanden zu haben; vielleicht versucht diese Figur, die andere wissentlich von etwas zu überzeugen, das nicht wahr ist.
Trotz dieses Verlangens nach Wissen und Klarheit ist in den Werken wenig davon zu spüren. Das Streben nach Verständnis endet für gewöhnlich in einer Art Absurdität oder Traumlogik bzw. kehrt zu dieser zurück. Auch wenn es unaufrichtig klingen mag, versuche ich nicht, Videos zu produzieren, die bizarre Ereignisse beschreiben. Vielmehr neige ich schlicht dazu, mich von den vielen Aspekten unseres Lebens, die sich einer Erklärung entziehen, bezaubern zu lassen. Ich habe immer geglaubt, dass ich, obgleich ich keine tatsächlichen Vorfälle beschreibe, versuche, eine Art fundamentalen Realismus zu erreichen. Mir gefällt die Vorstellung, dass die Ergebnisse dieser Versuche mit Deleuzes Auffassung von Naturalismus, wie sie in Kino 1 beschrieben ist, zusammenhängen: „Er [der Naturalismus] steht nicht im Gegensatz zum Realismus, sondern betont vielmehr dessen Merkmale, indem er sie in einen idiosynkratischen Surrealismus erweitert.“1 Und wenn ich eine wahrlich merkwürdige Situation schildere (zum Beispiel ein sprechender Hund kommt zu Besuch), liegt der Fokus dennoch auf dem Alltäglichen – in diesem Fall auf dem Streit und Machtkampf zwischen einem scheinbar normalen Ehepaar.
Auch das Genre spielt in meiner Praxis eine wichtige Rolle, insbesondere in den narrativen Werken. Da die Betrachter*innen bereits mit den Genrekonventionen vertraut sind, kann ich die Handlungsbeschreibungen überspringen und mit den Elementen experimentieren, die ich am interessantesten finde. Dabei mag es kaum überraschend sein, dass ich mich am meisten zu Filmgenres hingezogen fühle, die eine besonders epistemologische Neigung haben: Spionagefilme (mit Agenten, die versuchen, verborgene Ursachen internationaler Vorfälle aufzudecken und die Arbeitsweise von Geheimorganisationen zu verstehen), Geistergeschichten (da die Figuren sich nicht erlauben, an etwas so Fantastisches wie Geister zu glauben, suchen sie nach rationalen Erklärungen für die spukhaften Phänomene), Liebesgeschichten/Melodramen (wie können wir sicher sein, dass wir verliebt sind, und vor allem, wie können wir sicher sein, dass unser Wunschobjekt in uns verliebt ist?) sowie Gothic-Melodramen (wie Melodramen, nur extremer: Die Heldinnen können sich des Gefühls nicht erwehren, dass andere – in der Regel ihre Ehemänner – versuchen, ihnen Schaden zuzufügen; da ihnen diese Vorstellung zu schrecklich ist, um an sie zu glauben, verbringen sie den ganzen Film damit, an ihren eigenen Wahrnehmungen zu zweifeln und diese zu hinterfragen).
Meine Videokunst begann mit einem Bekenntnis zum Geschichtenerzählen, und diese Arbeiten nahmen im Allgemeinen die Subjektivität der weiblichen Hauptfigur zum Ausgangspunkt. Untitled (For T. B. R) (1996) stellt einen urbanen Mythos bezüglich einer Frau dar, die hinsichtlich der Natur ihres Liebesobjekts in Verwirrung gerät. Die Hauptfigur in Untitled (For T. B. R) hat eindeutig keinen erkenntnisorientierten Impuls – sie nimmt diese Kreatur, ohne Fragen zu stellen, einfach in ihr Leben auf und ist dann am Boden zerstört, als sie deren wahres Wesen erkennt. Trotz ihrer bedingungslosen Akzep- tanz wird das Publikum von Anfang an durch die Darstellung der Kreatur alarmiert. Wir können nicht anders, als zu fragen, warum die Frau nicht erkennt, wie seltsam dieses Wesen ist. Der mangelnde Wissensdurst der Frau ruft hingegen den unseren hervor. Ist das Video ein Gleichnis, das uns ermutigt, immer zu schauen, bevor wir springen? Oder ist es die Apologie eines Liebhabers, die zeigt, was für eine unmögliche Aufgabe das ist? Sub Rosa (2001) ist im Wesentlichen ein spannungsloser Spionagefilm, dessen Hauptfigur Michelle (offenbar eine Doppelgängerin der Künstlerin) vermutlich eine Art Spionin ist, aber sie interessiert sich nur marginal für ihre Aufgaben. Dabei ist der Austausch mysteriöser Pakete – der „MacGuffin“ des Films (eine Handlungsdevise, die das Publikum nicht sonderlich interessieren muss, die aber als Vorwand für die Handlung dient) – für die Figuren im Film nicht einmal wichtig. Niemand kümmert sich um die „Arbeit“, die verrichtet werden soll. Michelle ist vielmehr damit beschäftigt, mysteriöse, aber banale Ereignisse zu verstehen und merkwürdig ähnlich erscheinende Männer zu beobachten, die den Film bevölkern. Hinter was diese Männer her sind, ist schwer zu sagen.
Die im letzten Jahrzehnt entstandenen Werke sind entweder kurze experimentelle Erzählungen oder durch filmische Konventionen angeregte Abstraktionen. Revenant (2013) ist in gewisser Weise eine sehr kurze Erzählung – geschildert wird indes eine Geschichte, die wir kaum glauben können. Das Video beschreibt eigentlich mehr die Dynamik der Beziehung eines Paares, als dass es das Mysterium im Kern der Erzählung verdeutlicht. Am Ende bleiben die Überzeugungen und Wünsche der zwei (oder drei?) Figuren, wenn nicht diametral entgegengesetzt, so doch unverbunden und ungelöst. Während diese Broschüre zur Veröffentlichung gelangt, arbeite ich an einem Essayfilm über die Herausforderungen des Alterns. Die meisten Menschen behaupten, dass es ihnen nichts ausmachen würde, älter zu werden, solange sie dies graziös und ohne Schwierigkeiten tun könnten. Der neue Film wird der Frage nachgehen, ob ein solches Ideal des Älterwerdens für jemanden überhaupt möglich sein könnte, der selbst immer schwierig und nie graziös gewesen ist.
1 Gilles Deleuze, Cinema 1: The Movement-Image, Minneapolis 1997, S. 124, Übersetzung Claudia di Luzio.
Text by Michelle Alperin from the publication on "Re-imagining America"
I have always thought of my works as individual entities and I try to tailor each piece’s structure and methods in response to the subject matter. Nevertheless, some themes and formal approaches reappear throughout my practice. While it was never an intentional strategy, I have come to recognize an epistemological character to most of my works. The videos often depict characters trying to understand and interpret the nature of unusual phenomena or the behavior and intentions of others. The videos also portray the results when this insight is lacking. The characters can be surprised when others interpret events or signs differently – or find them to be of no import whatsoever. There can be an epistemological power struggle in which one character tries to convince another that he/she hasn’t understood circumstances correctly; perhaps this character tries to knowingly convince the other of something that isn’t true.
Despite this desire for knowledge and clarity, there is little of it to be found in the works. The quest for understanding normally ends (or returns) to some sort of absurdity or dream logic. Though it might sound disingenuous, I don’t try to produce videos which describe bizarre events. Rather, I simply tend to become entranced by the many aspects of our lives which defy explanation. I have always believed that even if I am not describing actual incidents, I am trying to get at some kind of fundamental realism. I like to think that the results of these attempts are related to Deleuze’s conception of naturalism as described in Cinema 1: “It is not opposed to realism, but on the contrary accentuates its features by extending them in an idiosyncratic surrealism.”1 And when I depict a situation which truly is strange (a talking dog comes to visit, for example), the focus is nevertheless on the commonplace – in this case, the argument and power struggle between an apparently normal married couple.
Genre also plays an important role in my practice, especially in the narrative works. As viewers are already familiar with genre conventions, I can skip over plot explanations and experiment with the elements I find most interesting. Not surprisingly, I’m most drawn to film genres that have a particularly epistemological bent: spy films (agents attempting to discover the hidden causes of international incidents and understand the workings of secret organizations), ghost stories (as the characters won’t allow themselves to believe anything as fantastic as ghosts, they seek rational explanations for the spooky phenomena), love stories/ melodramas (How can we be sure we are in love? And more importantly, how can we be sure our desired object is in love with us?) and gothic melodramas (like melodramas, but more extreme, the heroines can’t help feeling that others – usually their husbands – are trying to do them harm; as this idea is too horrible to believe, they spend the film doubting and interrogating their own perceptions).
My video art practice began with a commitment to storytelling and these works generally took the subjectivity of the main female character as their starting point. Untitled (For T.B.R) (1996) depicts an urban myth about a woman who experiences confusion regarding the nature of her love-object. The main character of Untitled (For T. B. R) clearly has no epistemological impulse – she simply accepts this creature into her life, no questions asked, and then is devastated when she finds out its true nature. Despite her unquestioning acceptance, the audience is alerted from the beginning by the creature’s depiction. Why does this woman not realize how strange this creature is, we can’t help but ask. The woman’s lack of desire to know only provokes ours. Is the video a parable encouraging us to always look before we leap? Or is it a lover’s apologia demonstrating what an impossible task that is? Sub Rosa (2001) is essentially an un-suspenseful espionage film, whose main character, Michelle (ostensibly the artist’s Doppelgänger), is presumably some kind of spy, but she is only minimally interested in her duties. Here the exchange of mysterious packages – the film’s MacGuffin (a plot device which the audience doesn’t particularly care about but which functions as an excuse for the film’s action) – is not even important to the characters in the film. Nobody cares about the “work” they are meant to be doing. Michelle is much more preoccupied with understanding mysterious, but banal events and observing the curiously similar men who populate the film. What these men are after is hard to say.
Works produced in the last decade have been either short, experimental narratives or abstractions inspired by filmic conventions. Revenant (2013) is in some sense a very short narrative – but it tells a story which we can hardly believe. The video actually describes the dynamics of this couple’s relationship more than it clarifies the mystery at the core of the narrative. In the end, the two (or three?) characters’ beliefs and desires remain, if not diametrically opposed, still unaligned and unresolved. As this catalogue goes to publication, I am working on an essay film about the challenges of aging. Most people claim that they wouldn’t mind getting older if they could do so gracefully and without difficulties. The new film will consider whether this ideal of aging could be possible for someone who has always been difficult and has never been graceful.
1 Gilles Deleuze, Cinema 1: The Movement-Image, trans. Hugh Tomlinson and Barbara Habberjam (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1997), 124.
Video stills from Revenant, Color video with sound, loop version: 3:51 min, screening version: 4:00 min, 2013
Film stills from Sub Rosa, 16 mm black & white film with sound, 28 min, 2001